Liebe Gemeinde,
meinen Weihnachtsgruß an Sie alle möchte ich in diesem Jahr mit einem Liedtext von Jochen Klepper beginnen. Jochen Klepper wer einer der bedeutendsten Dichter geistlicher Lieder im 20. Jahrhundert. Er wurde am 22. März 1903 als Sohn eines evangelischen Pfarrers in Schlesien geboren. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde er wegen seiner „nichtarischen“ Ehefrau drangsaliert und ausgegrenzt. Ihm, seiner Frau und seiner Töchter drohte die Verschleppung in ein Konzentrationslager. Die Situation wurde für sie so unerträglich, dass sie sich in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 – also vor 80 Jahren –das Leben nahmen. Es war ein Ende in gläubiger Hoffnung auf Vollendung. Im Jahr 1938 entstand der nachfolgende Text, den wir als Advents- und Weihnachtslied auch in unserem Gotteslob finden:
„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun lobgesungen dem hellen Morgenstern! Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.
Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht. Gott selber ist erschienen zur Sühne für sein Recht. Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt. Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt.
Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf! Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah. Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.
Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr; von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.
Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt. Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt. Der sich den Erdkreis baute, der lässt den Sünder nicht. Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht.
(Jochen Klepper, 1938, Gotteslob Bistum Münster, Nr. 220)
Mich hat dieser Text zum einen aufgrund der Lebens- und ich möchte auch sagen Leidensgeschichte des Autors angesprochen. In diesem Jahr kam mir dieser Text neu in den Sinn, wenn ich auf das unruhige, von Krieg und Katastrophen gekennzeichnete Jahr 2022 zurückblicke. Wir leben in einer sehr unruhigen und dunklen Zeit. Politisch, gesellschaftlich, kirchlich. Heiligabend werden es zehn Monate sein, dass der Krieg in der Ukraine andauert. Und wir spüren seit Ausbruch dieses Krieges im letzten immer und immer wieder unsere Hilflosigkeit. Wir erleben das unendliche Leid der Menschen, die dort ausharren oder die schweren Herzens ihre Heimat verlassen haben. Wir sind hilflos angesichts des Machtgebarens eines Einzelnen.
Darüber hinaus erleben wir in Europa auch weitere politische Unruhen. Die Ereignisse der letzten Wochen haben uns deutlich gemacht, wie sehr ein Riss durch unsere Gesellschaft geht, wie die Einheit in Europa gefährdet ist. Wer hätte gedacht, dass Korruption bis in höchste europäische Staatsämter möglich ist. Wer hätte gedacht, dass das Reichsbürgertum so massiv ist, dass unsere Demokratie dadurch gefährdet ist.
Und uns macht die Situation in unserer Kirche nach wie vor schwer zu schaffen. Der Missbrauchsskandal mit all seinen Folgen liegt seit Jahren wie ein dunkler Schleier über uns und hat die Bindung vieler an die Kirche gelöst und zu Entfremdung geführt.
Und hinzukommen die vielen persönlichen Schicksale in den Familien, die traurig und nachdenklich machen – der plötzliche Tod, die unheilbare Krankheit, die gescheiterte Beziehung.
Und in genau diese Situationen hinein feiern wir Weihnachten. Wir feiern die armselige Menschwerdung Gottes. Diese Menschwerdung Gottes feiern wir aber nicht in irgendeiner Zeit, sondern ganz konkret im Jahr 2022. Eben in genau dieser Dunkelheit, mitten in unserer Hilflosigkeit, mitten in allen Unsicherheiten, die manch einen sorgenvoll in die Zukunft blicken lassen, mitten in unseren Fragen, Ängsten und Sorgen.
Den Unsicherheiten und Spannungen seiner Zeit hat sich auch Jochen Klepper mit seinem adventlichen Lied gestellt, ohne sie auflösen zu können. Dieses Lied ist der Versuch, gegen die Finsternis anzusingen. „Angst und Pein“ will er nicht vorschnell mit frohem Lob übertönen. Und doch ist alles Dunkle überstrahlt vom „hellen Morgenstern,“ der dem nächtlichen Weinen ein Ende setzen wird. Ich will nicht aufhören, daran zu glauben.
„Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.“
Vielleicht kann uns diese Aussage Sicherheit, Halt und Orientierung geben – wir laufen doch nicht allein durch diese konfuse Welt.
Den vielen, die in unserer Gemeinde auch in diesem Jahr auf ganz unterschiedliche Weise Verantwortung übernommen haben, danke ich für Ihren Einsatz und Ihr Engagement, für Ihre Verbundenheit und Ihr Gebet. Bleiben wir auch im kommenden Jahr beieinander!
Im Namen aller Seelsorgerinnen und Seelsorger, im Namen von Pfarreirat und Kirchenvorstand grüße ich Sie herzlich und wünsche Ihnen, Ihren Familien und allen, die in diesen Tagen in unserer Gemeinde zu Gast sind, gesegnete Weihnachten und Gottes Segen im neuen Jahr!
Ihr Pastor Markus Thoms